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  • Writer's picturekatjagschulz

Lauf, und gib nicht auf!



Der Mond kratzt sich am Berg. Groß, rund, voll.

Schnee auf den Gipfeln strahlt hell.

Ich renne. Am Seeufer entlang. Schnell.

„Lauf, Katja, lauf!“


Schweißtropfen rennen mit. Kleben an meinem Rücken und rutschen dann hinunter.

Der See liegt ruhig. Seichtes Schimmern. Noch ist es nicht dunkel. Noch ist es nicht zu spät. Doch die Zeit drängt. „Lauf, Katja, lauf!“, ruft eine Stimme.


90 Tage. So viel Zeit. Und doch so wenig. 90 Tage halte ich in meiner Hand, wie die Körner einer Sanduhr. Unaufhaltbar gleiten sie durch meine Finger. Jedes Sandkorn, jeder Tag, quetscht sich durch den Hals der Uhr. Stürzt zu Boden. Tick, tick!

Schwermütig sind diese Tage. Schwer vor Sorge.


Geld rinnt ebenso davon. Ein paar Tausend Sandkörner noch, bis auch die zweite Hand leer ist. Der letzte Rappen durchgerutscht.


„Lauf, Katja, lauf. Bevor es zu spät ist. LAUF!“, ruft die Stimme.


Ich laufe ja. Renne sogar. Aber wohin?


Musik in meinen Ohren. Die Welt ist schöner mit Musik. Mit einer Melodie. Deiner Melodie. Denn sie berührt. Du berührst. Lange ist es schon so.

Weißt du noch, damals, an dem dunklen Tag im Dezember 2004? Einen Pfeil hast du mir ins Herz gerammt. Ein Feuer entflammt, eine Wunde entzündet!


Du bist da. Wie ein Juwel liegst du am anderen Ende des Sees. Hinter mir. Ich seh dich nicht. Zürich, mein Schatz, meine Liebe. Mein Schmerz.


Weißt du noch, damals, wie du mich zum Leben gebracht hast? Tanzen, Lachen, Lieben.

Weißt du noch, damals, wie du mich zum Sterben gebracht hast? Zwänge, Tränen, ein blutendes Herz.


„Lauf, Katja, lauf. Aber lauf nicht weg!“, schallt es mir nach.

In deinen Bann hast du mich gezogen.

„Lauf und gib nicht auf! Denn wenn du diesmal gehst, gibt’s kein Zurück.“


„Wie soll das gehen? Wie soll ich bleiben?“


„Du musst kämpfen. Für dich. Für mich!“


„Hör auf. Hör auf zu rufen, mich zu verlocken. Du weißt, dass ich es nicht mehr kann!“


„Lauf, Katja, lauf! Verdammt nochmal, gib doch nicht einfach auf!


Der Mond gestiegen, der Schnee ergraut. Ich bleibe stehen.

Ich kann nicht mehr, mein Atem aus.

Das Kinn fällt mir zur Brust, die Tränen drängen. Die Hände sind leer, die Zeit vergangen. Die Hoffnung weg. Der See so still.


Musik spielt weiter laut in meinen Ohren. Die Berge ragen mächtig und nah, sodass mein Herz daran zerschellt.


Aus meiner Seele wollte ich dich reißen, Zürich, mein Schatz, meine Liebe.

Lange ist es her. Jung war ich. Das Feuer, die Flammen, sie lodern immer noch.

Du lässt dich nicht ersticken, ich hab’s versucht. Paris. Montreal. Calgary. London.

Doch keine ist wie du, der Pfeil sitzt viel zu tief.


Tränen strömen. Erstarrt bin ich.


„Lauf, Katja, LAUF!“, schreist du mich an.


Ich dreh’ mich um und da bist du. Die Augen groß, dein Mund so weit.

Du strahlst und funkelst, die Häuser bunt. So neu, so alt.

Die Menschen, die du geborgen hältst – aus Nah und Fern.

Dein Gesicht, so schön. Facettenreich.

Das bist du, mein Zürich, mein Schatz, meine Liebe, mein Zuhaus.


„Dann lauf, und gib mich nicht auf!“


„So sag mir doch: WARUM? Warum der Schmerz, warum das Leid? Zuerst die Arbeit, weshalb so kurz darauf dieser Verlust? Die Zeit, die Angst, nur 90 Tage? Du bringst mich wirklich beinah’ um.“


„Das Leben, Katja, so ist das Leben.“


„WARUM? Warum so schwer? Trag ich die Schuld?“


Du hebst die Hand: „Doch ich hab dir deinen Mann gegeben!“


Die Knie so weich. Zu deinen Füßen leg ich mich.


„Ich weiß.“


„Also lauf, Katja, und gib nicht auf!“


„Dann gib mir Arbeit, gib mir Freunde. Ich bitte dich. Schenk mir Ruhe sowie das Recht – verweilen möchte ich. Und sag mir doch: Brauchst du auch mich?“


Ein Stich trifft tief in meiner Brust. Ein Pfeil, es tropft – klebrige Süße strömt in meine Adern.

Wärme, Herrlichkeit, Magie. Verzaubert hast du mich. Schon wieder.


Ich häng an dir, mein Zürich, mein Schatz, meine Liebe. Wie mit einem Faden, genäht an dich. Ich häng an dir, und nur an dir.


„Dann lass nicht los und gibt nicht auf. Ich halte dich, vertraue mir. Und lauf!


Die Arme weit, dein Lächeln weich. Den Kopf nach oben, ich stehe auf.


Und endlich fang ich wieder an zu laufen.








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